Die Beifahrerin
mein Name ist Manuela Haag, ich wohne seit knapp zwei Jahren in Bulgarien.
Dieses Land fasziniert mich und mein Herz schlägt für dieses Land. Hier erlebe ich Situationen, die viel in mir berühren. Ich möchte ein Erlebnis schildern, welches genau so eine Art der Berührung schaffte:
Es funktionierte gar nichts. Mein Notebook streikte wieder einmal, meine Gedanken waren fest gefahren. So beschloss ich, Abstand zu nehmen und etwas zu unternehmen. Und sei es nur um diese kleinen, wesentlichen Dinge, wie Grundnahrungsmittel zu besorgen.
Bulgarien ist ein sehr schönes Land. Es bietet viel mehr, als wir zu lesen oder zu sehen bekommen. Diese Vielfalt beinhaltet keineswegs Perfektion. Aber eben das ist für mich Leben: unperfekt und mit Makel zu sein.
Ich ging also zu meinem Wagen und machte mich auf den Weg, ganz entspannt und frei. Die Sonne, die hier immer zu sehen ist, leistete mir Gesellschaft und beruhigte meine wilden Gedanken.
Am Wegesrand stand eine Frau. Etwas älter, heruntergekommen. Die Kleidung und Schuhe haben vermutlich schon viele Jahre gesehen. Diese Frau wirkte gebrochen. Ich hielt meinen Wagen an und deutete ihr mit zu kommen.
Als sie einstieg, roch ich eine Fahne von harten alkoholischen Getränken. Ich dachte mir noch, typisch, um diese Zeit schon blau. Es waren abwertende Gedanken. Aber so bin ich aufgewachsen und so hat man mir solche Bewertungen auch vorgelebt.
Schwerfällig stieg sie in das Auto. Ich dachte noch, das kann heiter werden. Es ist eine kurze Strecke, aber diese kurze Fahrt könnte durchaus lange werden.
So fuhren wir zu dem kleinen Laden, wo ich mich gerne aufhalte. Auch sie musste da hin. Schwerfällig kroch sie aus dem Auto, und ich gab dem Alkohol die Schuld. Welche Hintergründe es auch dafür geben möge um diese Uhrzeit sich dem starken Getränk zu widmen, war mir einerlei. Ich sah und roch es und fällte eben mein Urteil.
Sie bedankte sich mehrmals und wir gingen gemeinsam zum Eingang. Es war geschlossen. Der kleine Laden hatte Mittagspause. Ein mir bekannter Herr deutete mir, dass sie jedoch bald öffnen würden und ich einfach nur warten müsse. Die Frau setzte sich und ich lehnte mich an den Tresen. Zwei ältere Frauen saßen gegenüber und redeten vermutlich über Vieles, was im Dorf so geschah.
Ich merkte, wie meine Mitfahrerin ihre Schuhe auszog und wieder kam mir der Gedanke: dieser Alkohol … Es ist nicht so, dass ich die Frau fixierte. Meine Blicke streiften zur Sonne, ich dachte an Worte wie „Was für ein schöner Tag heute“ und gelegentlich wanderte mein Blick wieder kurz zu meiner Beifahrerin.
Plötzlich bemerkte ich, wie sie versuchte, Tränen zu verbergen. Ich sah kurz in ihr Gesicht und sah so viel mehr darin als den Alkoholkonsum. Es dürften nur Sekunden gewesen sein, denn ich versuchte, meine Blicke abzuwenden. Es ist so leicht von einem Problem seine Blicke abzuwenden. Ich hoffte, dass der Laden bald öffnen würde um meines Weges gehen und den heutigen Eindruck der Vergangenheit zuschreiben zu können.
Im Laden dann konnte ich nicht anders, deutete nach draußen und fragte die Besitzerin, was denn mit der Frau los sei. Mag sein, dass ich mir einfach ein Abwinken erhoffte oder die Antwort, dass der Grund der Alkohol sei. Aber diese Antwort bekam ich nicht.
Sie hat schwere Probleme mit ihren Beinen. Nun änderte sich meine Interpretation was den Alkohol betraf. Mein ganzes Bild änderte sich, weil ich mittlerweile weiß, dass Armut mehr beinhaltet als man nach außen sehen kann.
Mag sein, dass ich mich für meine eigenen Gedanken entschuldigen wollte oder der Frau ein bisschen Sonnenschein geben wollte. Es fiel mir lediglich ein Stück Schokolade ein. Ich bat die Verkäuferin es der Frau nach meinem Gehen zu geben. Ein Stück Schokolade! Ich fand meine Spontanität dämlich.
Wir kennen alle dieses könnten, wollten, hätten, würden, wären. Wahrscheinlich hätten viele anders reagiert. Aber Fakt ist: wir sind nicht alle gleich. Wir können nur bedingt versuchen den anderen zu verstehen. Und sollte das nicht gelingen, dann zumindest akzeptieren und respektieren.
Ich erwarte nicht, dass wir alle, die wir mehr haben – und trotzdem noch so wenig um noch jammern können – unser Hab und Gut hergeben. Aber ich habe schon so oft gesehen, dass gekauft wird was nicht nötig wäre. Im Gegensatz dazu gibt es Menschen, die in Mülleimern nach Essensresten stöbern. Darum habe ich eine Bitte: schenkt den Projekten von www.hifa.at etwas mehr Aufmerksamkeit.
Gebt keine Millionen jenen, die arm sind, tragt sie nicht durch das Leben, aber gebt ihnen Möglichkeiten.