Solidarität lernen
Lehrerin sein.
Das geht eigentlich nicht. Niemand kann jemanden etwas lehren.
Auch nicht Zehn- bis Achtzehnjährigen – denen schon gar nicht! Man kann Fakten präsentieren, Zusammenhänge erklären, versuchen, Interesse zu wecken – und vor allem muss einem selbst das, was man vermitteln möchte, wichtig sein. Dann hat man die Chance, dass der Funke überspringt und das Gegenüber Wissen und Werte zu seinem/seinen eigenen macht – und vielleicht sogar noch über das Vorgelegte hinausgeht und so den vermeintlich Lehrenden zum Lernenden werden lässt.
Ganz besonders gilt dies, wenn Begriffe wie „Fairness“, „Gerechtigkeit“, „Verantwortung“ und „Solidarität“ nahegebracht werden sollen, wie es zum Beispiel im Religionsunterricht der Fall ist. Da ist es mit dem Vorlegen von Fakten nicht getan – da hilft nur das Tun! Einerseits bieten sich punktuelle Aktionen wie Sammlungen an, andererseits kann eine Aufgabe, die über längere Zeit Kreativität und Einsatz verlangt, möglicherweise die Haltung und Sichtweise junger Menschen dauerhaft prägen.
Daher war ich sehr froh, als ich in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts von der HIFA und ihren Patenschaftsprojekten erfuhr: Hier wurde/wird Kindern in Afrika, die sonst wenig Chance auf Schulbildung hätten, mit einer jährlichen Zuwendung die Möglichkeit eröffnet, eine Schulbildung abzuschließen und damit für sich selbst, aber auch ihre Gemeinde an einer positiven Zukunft mitzuwirken. Daher gewann ich bereits 1997 eine Klasse dafür, den jährlichen Beitrag für ein Patenkind aufzubringen.
Das Geld wurde nicht „erbettelt“, sondern erarbeitet: Bei allen sich bietenden Gelegenheiten, wie Sprechtage oder Schulkonzerte, wurden Kuchen gebacken, Brötchen gestrichen, belegt und verziert und Getränke organisiert, damit man den Gästen der Schule Verlockendes im Buffet anbieten konnte. Diese Einnahmequelle stellte sich als besonders lukrativ heraus, weil keineswegs immer die Ausgaben für die Rohmaterialien in voller Höhe zurückverlangt wurden und daher der Umsatz fast dem Reingewinn entsprach. Manchmal wurden von dem Erlös dieser Aktionen auch andere Projekte, die den Schüler:innen am Herzen lagen, mit unterstützt.
Es wurden auch Dinge angeboten, die indirekt ein Licht auf die Situation der Länder warfen, aus denen wir Kinder unterstützten: Nämlich Waren aus Fairem Handel. Bei dieser Gelegenheit erfuhren die Schüler und Schülerinnen, dass der Reichtum der nördlichen Staaten zu einem großen Maße auch darauf gründet, dass Menschen in den sogenannten „Entwicklungsländern“ keinen gerechten Lohn und keine fairen Preise für ihre Produkte bekommen – und dass man durch den Kauf fair gehandelten Kaffees, Kakaos, Tees oder handwerklicher Produkte etwas dagegen tun kann. Wir wurden zu Dauerkunden eines EZA-Ladens, sodass wir als Wiederverkäufer eine Gewinnspanne erwirtschaften konnten.Diese, und natürlich alles, was die Käufer und Käuferinnen über den Preis hinaus den fleißigen „Basarstandlern“ gaben, floss unseren Patenkindern zu.
Immer, sobald eine „Geld-beschaffungsaktion“ abgeschlossen war, überwiesen wir den Betrag an die HIFA und trachteten danach, die jährlich notwendige Summe pünktlich aufzubringen. Der Eifer der Schüler:innen war sogar so groß, dass wir bald schon ein zweites Patenkind übernehmen konnten! Durch die Rückmeldungen über die beiden Burschen, die wir betreut haben, fühlten sich die Schüler und Schülerinnen für „ihre“ Kinder verantwortlich und kümmerten sich jedes Jahr darum, das Schulgeld aufzubringen. Die Organisation von Buffet und Basar wurden schon dermaßen selbstverständlich, dass ich nur mehr für die Logistik zuständig war und für alles, was mit dem Auto zu transportieren war. Für alles andere hörte ich nur ein beruhigendes „Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Professor, wir machen das schon!“
Und so war es auch.
Nicht nur bis zur achten Klasse, sondern darüber hinaus: Denn als klar wurde, dass die beiden Burschen noch finanzielle Unterstützung brauchen würden, wenn die Klasse bereits maturiert haben würde, wurde von den jungen Leuten mit doppeltem Eifer gearbeitet, denn sie hatten ein ehrgeiziges Ziel: Den Schulbesuch ihrer Schützlinge bis zu dessen Ende im Voraus auszuzahlen!
Dieser Plan ging nicht nur auf, sondern wurde noch übertroffen, sodass Geld, das wir für unsere Patenkinder nicht mehr brauchten, einem behinderten Mädchen in Togo und dem Wassertropfenprojekt der HIFA zukommen lassen konnten.
Nun bin ich schon nach 45 Dienstjahren seit Oktober 2020 in Pension und betreue nach wie vor über die HIFA ein Patenkind. Ich bin froh, dass ich auf diesem Wege etwas tun kann, was ich allein zu leisten nicht imstande wäre. Ich weiß, dass hier Menschen ihr Bestes tun, um so gut wie möglich Hilfe zur Selbsthilfe leisten zu können. Ganz besonders aber hat es mich gefreut, zu erfahren, dass die Erinnerung an unsere Patenschaftsaktion in manchen der ehemaligen Schüler:innen noch präsent ist!
Mag. Angela Ransdorf