Armut in Nigeria – und doch so viel Würde
Nigeria ist ein Land der Kontraste. Neben wohlhabenden Stadtvierteln mit gepflegten Einfahrten, modernen Apartments, klimatisierten Cafés und internationalen Supermärkten finden sich nur wenige Straßen weiter provisorische Hütten, offene Abwassergräben und Menschen, die ums tägliche Überleben kämpfen. Diese Gegensätze sind kein Widerspruch – sie gehören zur Wirklichkeit in Nigeria.
Nigeria besteht nicht nur aus Ghettos. In Städten wie Lagos oder Abuja gibt es Viertel, die auf den ersten Blick an Miami erinnern. Hochhäuser, gut gesicherte Wohnanlagen, schicke Hotels. Doch außerhalb dieser Enklaven beginnt ein anderes Leben. Und dieses Leben bestimmt den Alltag der meisten Menschen.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Offizielle Zahlen verschleiern oft das wahre Ausmaß, denn viele Menschen in Nigeria arbeiten in der sogenannten informellen Wirtschaft: Sie verkaufen Waren am Straßenrand, machen Gelegenheitsjobs oder helfen in kleinen Betrieben – meist ohne Vertrag, Versicherung oder feste Bezahlung.
In der Statistik gelten sie als „beschäftigt“ – obwohl ihr Einkommen oft kaum zum Überleben reicht. Wer dagegen gar keine Arbeit hat, erscheint als arbeitslos. Die Zahlen wirken dadurch besser, als sie sind. Denn viele, die nicht als arbeitslos zählen, leben trotzdem in extremer Armut – egal, ob mit oder ohne Job.
Während der gesetzliche Mindestlohn theoretisch bei etwa 50.000 Naira (rund 35 Euro) liegt, verdient ein Großteil der Bevölkerung in der Praxis deutlich weniger – vor allem in ländlichen Regionen oder als ungelernte Arbeitskraft. 24 Dollar im Monat für eine Vollzeitstelle sind keine Seltenheit. Und dabei geht es nicht um Teilzeit. Viele Menschen leisten Schichten von 12, 16 oder sogar 24 Stunden, ohne Überstundenvergütung, ohne Sozialversicherung, ohne Schutz.

Warum akzeptieren sie das? Weil es keine Alternativen gibt. Die hohe Arbeitslosigkeit zwingt viele dazu, schlechte Bedingungen hinzunehmen – in der Hoffnung, überhaupt etwas zu verdienen. Wer kündigt oder sich beschwert, wird ersetzt. Die Nachfrage nach Arbeit ist größer als das Angebot. Das erzeugt ein Klima der Abhängigkeit, Angst – und Resignation.
Der Lebensstandard ist kaum mit europäischen Verhältnissen vergleichbar. Smartphones sind Luxusgüter. Viele besitzen sie zwar – aber sie wurden geschenkt, gebraucht gekauft oder mit Hilfe der Familie finanziert. Wer ein günstiges Android-Handy hat, teilt es oft mit anderen oder verwendet es nur über WLAN, da mobile Daten für viele unerschwinglich sind. Kleidung wird auf dem Second-Hand-Markt gekauft, Strom ist nicht zuverlässig verfügbar, und fließendes Wasser ist in vielen Haushalten nicht selbstverständlich.
Doch inmitten dieser Herausforderungen bewahren die Menschen ihre Würde. Man lacht viel. Feiert, wenn es etwas zu feiern gibt – auch wenn es nur ein Teller Reis oder ein neu erstandenes Schulheft ist. Kinder spielen mit alten Reifen, improvisieren Fußballtore, lachen wie überall auf der Welt.
Armut in Nigeria bedeutet nicht nur materiellen Mangel – sie bedeutet Unsicherheit. Jeder Tag kann alles verändern: Ein medizinischer Notfall, ein kaputtes Motorrad, ein entlassender Arbeitgeber. Rücklagen gibt es kaum. Und doch leben die Menschen weiter, kämpfen, improvisieren. Und vor allem: Sie hoffen.
