Aus der Perspektive einer Frau aus Europa
Nigeria erleben – mehr als ein schlechter Ruf
Nigeria hat einen Ruf – und ja, ein Teil stimmt. Aber es ist nur ein Teil dieses vielfältigen Landes. Ich habe in den letzten sechs Monaten vor allem Lagos intensiv erlebt und dabei mehr über das Leben gelernt, als ich es je in einem Reiseführer hätte lesen können. Man kann nicht nach einem Monat sagen, dass man Nigeria kennt. Nicht einmal nach sechs Monaten traue ich mir das zu. Es kommt darauf an, welche Viertel man besucht, welche Menschen man trifft und welche Erfahrungen man macht.

Begegnungen, die prägen
Heute sprach ich wieder mit einer faszinierenden Frau in einem kleinen Dorf. Sie hatte ein Restaurant eröffnet, musste aber wegen Stress und fehlender Mitarbeiter aufgeben. Aufgeben ist hier keine Option: Stattdessen begann sie, Plastiktüten an Geschäfte zu verkaufen, später kamen Öl und Gemüse hinzu – und es lief. Sie beginnt einfach, nutzt, was möglich ist, und macht das Beste daraus.
Solche Begegnungen zeigen, wie kreativ und widerstandsfähig die Menschen hier sind. Sie lehren Geduld, Durchhaltevermögen und Flexibilität – Lektionen, die man nur vor Ort so intensiv erfährt.

Alltag in Lagos: Zwischen Armut und Kreativität
Nigeria ist voller Widersprüche. Ich habe viel Zeit in armen Vierteln verbracht, aber auch in Gegenden der Mittelschicht. Viele Menschen verdienen weniger als einen Euro am Tag, arbeiten sechs Tage die Woche, oft unter schwierigen Bedingungen. Gleichzeitig gibt es gut bezahlte Jobs und erfolgreiche Unternehmer. Alles ist möglich, weil vieles unreguliert ist.
Beim Essen versuchte ich, möglichst nah am lokalen Alltag zu leben: Straßenküchen, Mahlzeiten zwischen 50 Cent und 1 Euro. Typischerweise gab es Reis, ein Ei, ein Stück Moi Moi, manchmal ein kleines Stück Fleisch. Für viele Familien war das schon ein Luxus.

Armut, Hilfe und Realität
Arm ist für mich jemand, der keine Ressourcen mehr hat, etwas zu tun. Viele hier haben wenig, aber sie kämpfen, improvisieren, versuchen, sich über Wasser zu halten. Nicht jeder Mensch ist böse oder schlecht, nicht jeder will fliehen. Gute Hilfsorganisationen leisten wertvolle Arbeit: Spenden werden sorgfältig kontrolliert, geplant und nachhaltig eingesetzt.
Nigeria beobachten – und über sich selbst lernen
Die Menschen hier sind wie wir alle: Sie lachen, sie kämpfen, sie lieben. Wer Nigeria erlebt, lernt, Geduld zu haben, nicht vorschnell zu urteilen, die eigenen Vorstellungen loszulassen. Man erkennt, wie stark Anpassung, Kreativität und Durchhaltevermögen sind.
Nigeria ist kein Land, das man einfach verstehen kann. Aber es ist ein Land, das einem etwas gibt, wenn man bereit ist, es zu beobachten, zu hinterfragen und sich darauf einzulassen. Wer Nigeria erlebt, erlebt mehr als nur ein Land – erlebt Menschen und ihr Leben.
Erfahrungsbericht von Manuela Haag
